Frankfurter Rundschau | 21.08.2023 | Magazin

In der fruchtbaren Bekaa-Ebene ist Libanons längster Strom wegen Korruption und Missmanagement zu einer offenen Müllhalde geworden. Nur ganz allmählich verbessert sich die Lage.

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Das grün glitzernde Wasser des Qaraoun-Sees erstreckt sich soweit das Auge reicht, umgeben von malerischen Dörfern, die an den Berghängen liegen. Hinter der scheinbaren Schönheit der Pinienwälder verbirgt sich jedoch eine sehr traurige Realität. Wenn man näher kommt, steigt einem ein fauliger Geruch in die Nase, Abfall türmt sich in Schichten an den ausgetrockneten Ufern.

Der größte künstliche See des Libanon, der 1959 für einen Staudamm angelegt wurde, ist mit über 45 Millionen Kubikmetern Abfällen verseucht, die vom Litani-Fluss herangeführt wurden. Er erstickt und ist seit 2016 für klinisch tot erklärt.

„Früher war der See voller Leben: Zooplankton, Algen, essbare Fische“, erinnert sich Kamal Slim, Professor an der libanesischen Universität und ehemaliger Forschungsleiter am Nationalen Zentrum für Wissenschaftliche Forschung Beiruts. Er führt seit 15 Jahren Messungen am Wasser des Sees durch und ist zum Zeugen von dessen Niedergang geworden. „Die Einleitung von industriellen Schadstoffen, Abwasserkanälen, Pestiziden, Phosphaten – all das hat ein günstiges Umfeld für Cyanobakterien geschaffen, die den See besiedeln und schädliche Toxine freisetzen“, erklärt er.

Die Geschichte ist erschütternd: Die ersten Fische begannen bereits in den 1980er Jahren zu sterben, ab 2008 verfärbte sich der See grün, ab 2016 wurde der Geruch unerträglich – was zu Demonstrationen, Sit-ins und Streiks in der gesamten Region führte

Bio-Bauer Sharab Bou Fares in einem seiner Gewächshäuser. © Philippe Pernot

Im Sommer 2021 kam Qaraoun weltweit in die Schlagzeilen, als Hunderttausende Karpfen tot an den Ufern aufgefunden wurden. „Ich habe an der Reinigungsaktion teilgenommen und es war schrecklich: Mir kommen die Tränen, wenn ich nur daran denke“, sagt Iffat Idriss, eine Umweltaktivistin, die sich für das Lebanon Eco-Movement engagiert. Die Wirtschaft der Region wurde stark in Mitleidenschaft gezogen: Den Fischern wurde verboten, den überlebenden Fang aus dem See zu verkaufen – aber es ist heute ein offenes Geheimnis, dass man ihn auf den umliegenden Märkten findet.

Auch die Landwirtschaft leidet unter der Verschmutzung. „Früher kamen wir zum Baden und Angeln zum See und bewässerten unsere Felder mit seinem Wasser“, erinnert sich Sharab Bou Fares, ein Bio-Bauer in Qaraoun. „Jetzt geht das nicht mehr, weil wir sonst unser Obst und Gemüse verunreinigen“, seufzt er, während er durch seine Gewächshäuser läuft, in denen Tomaten, Gurken und Auberginen nur wenige Schritte vom Ufer des vergifteten Sees wachsen.

Die Verschmutzung des Qaraoun-Sees ist nur eine Katastrophe unter vielen für die Region

Seit 2018 haben die Behörden die Nutzung des Wassers aus dem See und dem Fluss Litani verboten, obwohl er für 80 Prozent des landwirtschaftlichen Wasserbedarfes des Bekaa-Tals sorgte – somit sind die Landwirte gezwungen, illegal Brunnen in das Grundwasser zu bohren. „Nur ist das aufgrund der Krise extrem teuer geworden, da man das Benzin für die Brunnenpumpen bezahlen muss“, erklärt er.

Die Verschmutzung des Qaraoun ist nur eine Katastrophe unter vielen für die Region: Eine unvollendete Revolution im Jahr 2019, Covid, eine hohe Anzahl Geflüchteter, zusätzlich zur schlimmsten Wirtschaftskrise der Welt. Mit einer zu 98 Prozent entwerteten Währung und einer Inflation von 250 Prozent versucht Bou Fares so gut es geht, von seinem Beruf zu leben. Nach eigenen Angaben muss er den Behörden monatlich 200 US-Dollar für Wasser, Strom und die Miete seiner Felder zahlen, vor 2019 waren es noch 60 US-Dollar.

„Die Hälfte der Landwirte in der Region ist in Rente gegangen, wir sind alle erschöpft. Jeden Monat ist es ein Pokerspiel: Werden wir etwas Geld verdienen oder alles verlieren?“ Die Verschmutzung des Sees und die globale Erwärmung machen ihm große Sorgen. „Wenn auch nur eine Bakterie mein Gemüse verunreinigt, muss ich den Laden schließen. Und meine Pflanzen trocknen mit beeindruckender Geschwindigkeit aus, ich bin mir nicht sicher, ob das Grundwasser es aushält“, befürchtet er.

Die Ziegen des syrischen Viehzüchters Ibrahim weiden am Litani.© Philippe Pernot

Mehr als 60 000 unkontrollierte Tiefbrunnen pumpen das Grundwasser auf die Felder und bringen den Wasserpegel bedrohlich zum Sinken. „Seit 70 Jahren verlieren wir einen Meter pro Jahr, und wegen des Klimawandels wird der Schneefall und somit auch das Grundwasser immer knapper“, erklärt Nadim Farajalla, Direktor des Programms Klimawandel und Umwelt bei der Amerikanischen Universität Beiruts. All dies führt dazu, dass die fruchtbare Bekaa-Ebene von Dürre und Wasserknappheit bedroht ist – was düstere Konsequenzen für die Ernährungssicherheit des gesamten Libanons haben könnte.

„Als ich klein war, spielten wir in den Quellen in den Hügeln – jetzt sind sie alle ausgetrocknet“, bezeugt Yahya Daher, Bürgermeister der Stadt Qaraoun, die über dem See liegt. Die Bürger:innen kämpfen gegen die Auswirkungen dieser doppelten Umweltkrise – die globale Erwärmung und die Verschmutzung des Sees. „2009 haben wir dank internationaler Hilfe vier eigene Abfallbehandlungsanlagen gebaut, um die Verschmutzung einzudämmen“, berichtet er mit Stolz.

Das mit Solarenergie betriebene System wird von der Gemeinde selbst verwaltet und ermöglicht es Abfall zu entsorgen, ohne ihn in die Flüsse zu leiten. Doch Daher macht sich Sorgen wegen der drohenden Dürre – selbst wenn die Verschmutzung heute enden würde, bräuchte der See wohl noch 30 bis 50 Jahre, um wieder Leben zu ermöglichen.

Weltwasserwoche

In Stockholm treffen sich in dieser Woche noch bis Donnerstag Fachleute aus aller Welt, um mögliche Lösungen für internationale Probleme im Zusammenhang mit Wasser zu besprechen.

Zur Weltwasserwoche , einer Non-Profit-Konferenz, lädt das Internationale Wasser-Institut in Schweden seit 1991 jährlich ein. Die Themen stehen im Zeichen der Klimakrise; es geht um Nahrungsmittelsicherheit, Gesundheit, Landwirtschaft, Armut, Technologie oder Artenvielfalt. sha

So beeindruckend die Verschmutzung des Qaraoun-Sees auch sein mag, sie ist nur ein kleines Beispiel für den Verfall des Litani-Flusses. Er schlängelt sich 170 Kilometer von Nord nach Süd durch das fruchtbare Bekaa-Tal, bevor er in der Nähe von Saida ins Mittelmeer mündet: Der längste Fluss des Landes ist auch der am stärksten verschmutzte. An seinen Ufern liegen Abfälle aller Art herum, die einen furchtbaren Geruch verbreiten. Als Folge der Verschmutzung steigen die Krebsraten explosionsartig an. „Entlang des Litani haben wir das 4,5-fache der nationalen Rate – viele Krebserkrankungen des Dickdarms und des Verdauungstrakts, die durch Pestizide verursacht werden“, erklärt Ismail Sukkarieh, ein Gastroenterologe und ehemaliger Abgeordneter.

Die Ursachen sind gut dokumentiert und reichen bis in die 1970er Jahre zurück. „Damals baute die Regierung zuerst ein Abwassersystem, aber nie die notwendigen Kläranlagen, so dass alles im Litani landete. Wir leiden jetzt 50 Jahre später unter dieser Misswirtschaft“, seufzt Nassim Abu Hamad, Leiter der Abteilung für Wasserverwaltung bei der Litani River Authority (LRA), einer unabhängigen Regierungsbehörde, die für die Wasserqualität und die Landwirtschaft im Einzugsgebiet des Flusses zuständig ist.

Yahya Daher, Bürgermeister von Qaraoun, mit der Studie zum Gift im See.© Philippe Pernot

Abu Hamad identifiziert drei Hauptquellen der Verschmutzung. „Das größte Problem sind 69 Gemeinden am Flussufer, die ihr gesamtes Abwasser in den Litani leiten“, sagt er. Die meisten von ihnen haben noch keine Kläranlagen, mit Ausnahme von Zahlé und Job Jennine. Dann kommt die Wirtschaft mit zahlreichen Weingütern, Molkereien, Bauernhöfen und einigen Fabriken. „Dank eines Gesetzes aus dem Jahr 2018 haben wir etwa 90 umweltschädliche Unternehmen verklagt und alle unsere Prozesse gewonnen. Sie wurden gezwungen, ihren Abfall zu entsorgen und die Umwelt zu reinigen: Das hat es im Libanon noch nie gegeben“, freut er sich.

Dritter Faktor für die Verschmutzung: Entlang der Ufer des Flusses wurden 400 000 bis 700 000 syrische Flüchtlinge, die sich seit Beginn des Bürgerkriegs im Nachbarland aufhalten, in provisorischen Lagern untergebracht; da sie unter prekären Bedingungen leben, sind sie oft gezwungen, Abwasser und Abfälle in den Litani zu leiten. Das Hochkommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) und UNICEF sollten theoretisch ihre Abfälle entsorgen. „Aber die UN kooperieren nicht. Man sieht oft, wie ihre Lastwagen den Müll einsammeln und dann weiter unten in den Fluss kippen“, kritisiert Abu Hamad. „Wir haben sie in mehreren Briefen aufgefordert, die Flüchtlinge 200 Meter weiter vom Flussufer wegzubringen, aber diese Briefe sind unbeantwortet geblieben“. Beide Stellen antworteten nicht auf die Anfragen der Frankfurter Rundschau.

Die syrischen Flüchtlinge geben einen perfekten Sündenbock ab für die Regierung und die großen Medien

Die Anwesenheit der Geflüchteten führt zu Spannungen in der Region, da die Bewohner:innen sie beschuldigen, die Umweltverschmutzung zu verursachen. „Sie sind für mindestens 30 Prozent des Problems verantwortlich“, sagte Abu Hamad. Dennoch sind sie auch die ersten, die unter der Situation leiden. „Der Geruch im Lager ist übel, wir haben viele Stechmücken, die Krankheiten verbreiten, leiden unter Juckreiz und Magenproblemen“, berichtet Maha, eine Landarbeiterin aus Deir ez-Zor, die in einem Lager in der Nähe von Joub Jennine, nur einen Steinwurf vom Litani entfernt lebt. „Obwohl wir die Stadtverwaltung für die Müllabfuhr bezahlen, kommen sie nicht und wir müssen im Müll leben“, bestätigt Ibrahim, ein Viehzüchter aus dem Norden Syriens, dessen Ziegen im mit Plastik übersäten Gras am Flussufer weiden.

Menschenrechtsorganisationen zufolge sind die zwei Millionen syrischen Flüchtlinge im Libanon ein perfekter Sündenbock für die Regierung und die großen Medien des Landes, die eine Hasskampagne gestartet haben, um ihre Ausweisung zu erzwingen. Dabei ist es die politische Klasse, die für den wirtschaftlichen Zusammenbruch und die Verschmutzung des Landes verantwortlich ist.

Der Litani-Fluss
Libanons längster Fluss ist zu einer offenen Müllhalde geworden

Das Beispiel des Litani-Flusses ist aufschlussreich: Im Jahr 2015 hatten die Weltbank und verschiedene Geldgeber den Behörden einen Kredit in Höhe von 55 Millionen US-Dollar gewährt, um drei Kläranlangen zu bauen. „Zehn Jahre und 37 Treffen später wurde nichts davon umgesetzt“, kritisiert Yahya Daher, der Bürgermeister von Qaraoun. Das liegt unter anderem an der schieren Anzahl der verantwortlichen Behörden, die kooperieren müssen: das Bekaa Water Establishment, das Umweltministerium, das Industrieministerium, und viele mehr.

„Die Koordinierung zwischen den Geldgebern, dem Energie- und Wasserministerium sowie den Wasserversorgern war in der Vergangenheit sehr schlecht. Es gab eine Menge politisch motivierter Agenden, aber das ist allmählich mit neuen Gesetzen besser geworden“, bestätigt der Forscher Nadim Farajalla.

Denn es gibt Hoffnung. „Seit den Gerichtsverhandlungen haben die Unternehmen entlang des Litani ihre Verschmutzung wirklich verringert, wodurch die Schwermetallbelastung gesunken ist“, freut sich Abu Hamad von der LRA. Seine Behörde hat beispielsweise Feuchtgebiete in der Nähe von Job Jennine saniert und eine Abwasseranlage inmitten von Schilf und Obstgärten errichtet. Ein Modell, das auf eine Entgiftung des Litani innerhalb der kommenden Jahrzehnte Hoffnung macht.

Mitarbeit: Mira Succari

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